Der Hoinzer

 Eine wahre Geschichte.

 
 
Der HOINZER (fränkisch: Heunzer) oder Samtpfotes Rache

 

Der Hoinzer ist ein Kater, der –wenn er geschlechtsreif wird– der pelzigen Dame seines Herzens außer schönen Augen, auch liebevollen Gesang zukommen lässt.

Jene eben genannte Eigenschaft kann sich aber als sehr störend erweisen, auch wenn man ein toleranter Mensch ist und von dem grässlichen Gestank mit dem er sein Revier markiert absieht, welchen er bevorzugt zu oben genannter Zeit an Stellen absetzt, an denen seine Liebste ihre Duftmarken hinterlassen hat.

 

Ein solcher, liebeshungriger Hoinzer also war unser Kater Samtpfötchen für die kurze Zeit von 2 Monaten, nachdem er vom Jüngling zum Manne erblüht war, bis er notgedrungen alle weiteren Rendezvous mit unserer Maine Coon Dame Nelly absagen musste,  da seine Männlichkeit dem Skalpell des Tierarztes anheim fiel.

Gerade in diesem Zeitraum aber geschah es, dass mein Vater seinen Besuch ankündigte. Es ist eine liebe Angewohnheit von ihm, uns jedes Mal zu besuchen, wenn er geschäftlich in Bayern unterwegs ist und so war es auch damals.

 

Gerade als Kater Samtpfötchen klar wurde, dass er nun dabei war erwachsen zu werden und anfing seiner Hausgenossin Nelly nachzustellen, traf mein Vater ein.

Nachdem dieser von uns Allen freudestrahlend begrüßt wurde, brachten wir sein Gepäck in unser Gästezimmer, das sich in der unteren Etage unseres Hauses befand.

 

Anschließend wurde die Ankunft gefeiert. Es vergingen nun zwei schöne Tage. Ein jeder ging zwar seinen gewohnten Tätigkeiten nach, jedoch traf man sich abends zu einem Plausch bei und nach dem Essen, um sich zu entspannen. Meist schlossen sich diesem gemütlichen Teil alle unsere Katzentiere an. Sie schnurrten unwiderstehlich, belagerten uns regelrecht und wollten gestreichelt werden, während wir es uns im Wohnzimmer bequem machten.

 

So auch an diesem verhängnisvollen Abend an dem sich etwas ereignete, das katastrophal endete, obwohl es harmlos begonnen hatte.

Wir, das waren zu diesem Zeitpunkt vier Menschen und 3 Katzentiere, saßen wie immer im Wohnzimmer und machten es uns bequem.

Eine angeregte Unterhaltung begann und allerlei Knabbereien wurden aufgetragen, als ich beobachtete, dass Samtpfötchen zusammen mit Nelly unter dem schwarzen Wohnzimmertisch verschwand.

 

Das ist eigentlich nicht weiter schlimm, aber gerade DIESE zwei Katzen waren ja zur Zeit in einer Art Liebestaumel.

Zwar hatte Nelly immer schon eine Vorliebe für Kater Tom gehabt und umgekehrt, jedoch schien sie von dem Werben Pfötchens beeindruckt und hatte diesem anscheinend eine Chance eingeräumt. Zumindest durfte der junge Kater an ihr schnüffeln und neben ihr am Sofa liegen, was vorher nur dem älteren Kastraten gewährt wurde.

 

„Liebe auf den zweiten Blick...“, spöttelte Gerd.

„Hoffendlich ist sie nicht schon rollig“, bemerkte ich stirnrunzelnd und während wir allesamt diese Möglichkeit noch durchdachten, ertönte unter dem Tisch ein langgezogenes Knurren, dem ein ausgiebiges Fauchen folgte das in einem lautstarken Tumult endete.

 

Gerd und ich erstarrten, während mein Vater blitzschnell reagierte. Er sah unter den Tisch, griff resolut hinunter und zerrte einen verärgerten Samtpfote hervor der die Ohren flach an den Kopf angelegt hatte.

„Du Bauer willst doch nicht etwa die Edelkatze decken. So weit kommt es noch", rief Vater empört aus, packte Pfötchen und beförderte den verdutzten Kater zum Flur, um ihn dort abzusetzen. Dann schloss er direkt vor dem schwarzweissen Fellgesicht die Tür.

 

Gerd und ich bewegten uns nicht. Es ging alles so schnell, dass keiner von uns beiden reagieren konnte und so beobachteten wir das besagte Spektakel ohne Gemütsregung.

Erst als Samtpfote ein langezogenes Geheule vor der Wohnzimmertür anstimmte, entbrannte eine hitzige Debatte unter den vier Anwesenden, die sich weitgehend mit Sinn oder Unsinn der elterlichen Reaktion auseinander setzte.

 

Nelly gurrte derweilen vor sich hin und wälzte sich wie wild am Teppich.

Es entstand so ein geräuschvolles Stimmdebakel, das seinesgleichen suchte und kurz extrem anschwoll, um dann abrupt zu enden.

Was niemand zu diesem Zeitpunkt auch nur ahnte war, dass Samtpfote eine Eigenschaft besaß, die auch von uns Menschen nicht unbedingt geschätzt wird. Er war extrem nachtragend.

 

Er verzieh Vater nie, das er ihn von seiner Liebsten entfernt und vor die Tür gesetzt hatte. Ja, ich glaube sogar, dass er ihm die Schuld an seiner folgenden Kastration gab. Einige seiner Verhaltensweisen deuteten jedenfalls sehr darauf hin.

 

Andererseits konnte ich ihn gut verstehen, wenn man sein Tun vermenschlichen wollte. War doch der Kater von gewöhnlichem

Blute, während Nelly eine adelige Herkunft hatte und vielleicht war ihm dies ja in gewissem Sinne bewusst, da seine menschlichen Hausgenossen keine Gelegenheit ausließen, um diesen Umstand zu erwähnen.

Wer weiß das schon so genau....

Manche Tiere sollen ja jedes Menschenwort verstehen....

 

Außerdem kam hinzu, dass Vater Pfote im Nackengriff an Nelly vorbeigeschleift hatte, was Mütter mit ihren Jungtieren machen und somit für jeden tapferen Katzenrecken eine Entwürdigung darstellt.

 

Nun ja, es wurde jedenfalls im Laufe seines 12-jährigen Lebens immer klarer, dass Samtpfote Vater ab diesem Abend nicht mehr leiden konnte.

An jenem Tag wurde dies zuerst in einer Art und Weise offensichtlich, die keiner der anwesenden Menschen nur im Entferntesten erahnen konnte und die sich so oder in abgewandelter Form stetig fortsetzte.

Eben immer dann, wenn der Kater eine Gelegenheit dazu hatte.

 

Während also, nach dem Tumult, im Wohnzimmer wieder Ruhe eingekehrt war, hörten wir plötzlich den aufgeregten Hoinzer laut vor sich hin keckernd die Kellertreppe hinunter zu den Futterplätzen hoppeln.

Ich entspannte mich wieder, da mir bewusst war, dass Samtpfote sich oft mit einem ausgiebigen Mahl tröstete, wenn er frustriert war.

Danach herrschte gespenstige Ruhe im Haus und es schien alles wieder in Ordnung zu sein. So auch als mein Vater zu Bett ging.

 

Das Gästezimmer war ja im unteren Stockwerk in der Nähe der Futterplätze, aber Samtpfote hatte sich rar gemacht und ward nicht mehr gesehen.

Nelly leistete meiner Tochter Gesellschaft und war so sicher in deren Zimmer untergebracht. Die Nachtruhe brach also an und nichts regte sich weiterhin im ganzen Haus, bis um zwei Uhr früh ein ohrenbetäubendes Geheul zu hören war.

 

Ich schreckte aus meinem Schlaf auf, sprang aus dem Bett und öffnete die Tür, um den Grund der nächtlichen Ruhestörung heraus zu finden.

Schaurig klang das Geheul aus den Kellerräumen zu mir hinauf ins obere Stockwerk.

So betrat ich rasch den Flur, hörte jedoch unvermittelt, wie die Tür zum Gästezimmer geöffnet wurde und eine männliche Stimme rief:

Na komm nur rein du Armer!"

Vater hatte also doch Mitleid mit dem einsamen Samtpfote.

 

Niemand hätte auch nur ahnen können, das dies wohl zu einem ausgeklügelten Plan gehörte, welcher von dem schwarzweissen  Katzenpelzkopf genau durchdacht worden war.

Samtpfote war wohl „gewöhnlich“, aber ganz bestimmt nicht dumm. Jedenfalls dauerte es ganze 15 Minuten, bis unten die Tür des Gästezimmers regelrecht aufgerissen wurde und eine zornige Stimme mit den Worten durch das Haus donnerte:  „Du Sauviech. Das darf ja wohl nicht wahr sein...

 

Samtpfote hatte Vater in Sicherheit gewiegt, um sich dann heimtückisch in seinem offenen Koffer auf seinen Sachen zu „entleeren“, wenn sie wissen was ich meine. Und das blieb so – oder besser gesagt so ähnlich.

Egal ob ein Bild auf dem Tisch lag auf dem die ganze Familie zu sehen war oder ob ein Kleidungsstück von Vater irgendwo im Haus deponiert war, an das Pfote gelangen konnte.

Alles wurde bepinkelt.

 

Und das 12 Jahre lang immerhin. 

 

Auch nach der Kastration, welche eigentlich nur eine Geste der Verzweiflung gegen zuviel Feuchtigkeit auf gewissen menschlichen Sachen war.

Sicher sah auch der Tierarzt Vater ähnlich, aber das war eben ein tragischer Zufall, den Samtpfote doch mit links als Solchen begriffen hatte.

 

"Oder, aber.... Pfui Samti, nicht auch noch den Tierarzt...!" kreischte ich, nun der Verzweiflung nahe.

 

 

© Andrea Wunderlich